Die Walpurgisnacht
- Der Vossberg brennt -
Jan der Fischersohn mit mystischen Fähigkeiten hatte sich an einem Tisch in der Ecke der Kneipe „Zum Bissigen“ gesetzt und döste, ein wenig müde geworden, vor sich hin. Mittlerweile war es eine halbe Stunde vor Mitternacht und die Gastwirtschaft „Zum Bissigen“ war noch brechend voll.
Der Wirt, der die Gäste in einem alten, hölzernen Rollstuhl bediente, beobachtete Jan argwöhnisch von der Seite, weil er eigentlich nicht zu den anderen Gästen in dem schummrig wirkenden Lokal passte. Die meisten Anwesenden waren Männer und Frauen in ungepflegter Kleidung. Sie waren vom Alkohol völlig enthemmt. Sie unterhielten sich so lautstark, dass sie ihre eigenen, wirren Worte nicht mehr richtig verstanden.
Am Nebentisch saß eine Gruppe von Frauen, die sich kreischend und wild über den Vossberg unterhielten. Sie wollten gemeinsam, jetzt in der dunklen Nacht, zum Vossberg.
In dem durcheinander des Aufbruchs, bemerkte Jan an dem dunklen Tresen des Lokals ein vergilbtes Plakat wo er, in dem dämmrigen Licht, in kleverländischer Schrift las „Van Dag grooten Häxendanz ob dän Vossberg“.
Schlagartig wurde ihm klar, heute am 30. April auf den 1. Mai fliegen sie wieder, die Walpurgishexen! Auf ihren Fluggeräten wie Besen, Mistgabeln oder Tieren kommen sie aus allen Himmelsrichtungen herbei, um sich in der Walpurgisnacht mit ihrem Herrn und Meister – dem satanischen Teufel – zu treffen. Sie wollen gemeinsam bis zum Morgengrauen das größte aller Hexenfeste feiern.
Dem Plakat zufolge treffen sich die Hexen zunächst in der Wirtschaft „Zum Bissigen“ in Nütterden und fliegen anschließend gemeinsam zum Vossberg hinüber, wo sie sich mit dem Teufel vermählen wollen.
Unter dem Einfluss geheimer Drogenmixturen tanzen die Hexen dann in einem großen Kreis um das Feuer. Sie küssen Luzifer im Anschluss den Hintern. Durch diese “Vermählung” empfingen sie neue Zauberkräfte von ihm, so dachten sie.
Heute aber sollte alles ganz anders kommen. Jan begriff nun schlagartig warum er von ängstlichen Dorfbewohnern hier nach Neu Nütterden gerufen wurde und wollte das heidnische Teufelsfest natürlich verhindern. Er rannte so schnell er konnte zum nahe gelegenen Vossenberghof auf Schmelendriss, von wo er die beiden Knechte Nöll und Köbes kannte.
Diese beiden starken Knechte waren die richtigen Begleiter um sich dem teuflischen Treiben entgegen zu stellen. In dieser Nacht wagten sich nur die mutigsten Bewohner von Nütterden in die Nähe des Vossberges, da man annahm das sich dort eine ganze höllische Heerschar auf dem Berg herumtrieb.
Jan hatte von den Erzählungen über Geister, Hexen und Dämonen am Vossberg in der alten Schriftrolle aus dem Hingstberg gelesen. Er wusste, dass die Nütteraner mit allerlei positiven Abwehrmitteln versuchten Satan und die Hexen zu vertreiben.
In ihren Häusern, Schuppen, Katen und Ställen wurden zum Beispiel Kräuterbüschel verteilt. Stark riechende Pflanzen wie Baldrian, Johanniskraut und Holunder galten als besonders wirkungsvoll. In manchen Gehöften am Fuße des Vossberges haben sich einige dieser Bräuche bis heute gehalten.
Bei starken Stürmen und Unwettern, wie sie in dieser Gegend um den Vossberg immer wieder vorkamen, vermutete man immer das Dämonen und Hexen ihr Unwesen treiben.
Um sie heute Nacht zu entmachten, wollten die beiden Knechte Nöll und Köbes ihnen Messer mit Dreizackkreuzen mitten in die Wirbel schleudern. Sie hatten auch gekreuzte Rechen bei sich, die als sehr wirkungsvoll galten, denn an ihnen blieben die Hexen hängen und wurden wirksam von ihren heidnischen Mächten befreit.
Jan erinnerte sich ebenfalls an seine mystischen Kräfte und an die magische, silberne Kette, die er von dem Ritter Lohengrin erhalten hatte. Er trug sie immer unter seinem Rock bei sich und war dadurch mit allen Möglichkeiten der Abwehr ausgestattet. So gerüstet liefen die drei gemeinsam den Berg hinauf.
Hier oben auf dem Vossberg war die Hölle los. Mehr als fünfzig Hexen waren gekommen und tanzten um ein riesiges Feuer. Sie kreischten dazu satanische Verse und gerieten in wilder Extase.
Die beiden Knechte hatten allerhand zu Tun, um sich und Jan zu schützen und gleichzeitig die laut schreienden Hexen abzuwehren. Von Satan war noch keine Spur zu sehen.
Inzwischen hatte sich durch das Anfangs kleine Hexenfeuer der gesamte Vossberg unkontrolliert entzündet. Ein grandioses Inferno nahm seinen Lauf. Der Vossberg war nicht mehr zu retten, er brannte lichterlo.
Jan lief so schnell wie möglich zum Vossberghof zurück in der Hoffnung den Bewohnern helfen zu können.
Seine beiden Begleiter, die Knechte Nöll und Köbes hatte er in den Wirren des Infernos aus den Augen verloren.
In dem kleinen Keller unter dem Wohnhaus, wo auch die anderen Hofbewohner Schutz vor dem riesigen Flächenbrand suchten, traf Jan aber nur den Knecht Nöll an. Leider kam der Knecht Köbes vom Vossberghof bei dem verheerenden Brand ums Leben. Er hatte sich nicht retten können und beim Kampf mit der kreischenden Hexenbrut sein Leben verloren.
In dem riesigen Flammenmeer am Vossberg kamen auch alle Hexen ums Leben. Sie hatten die Wucht des Feuers in ihrer Extase falsch eingeschätzt. Durch den stark aufkommenden Wind nahm die Katastrophe ihren Lauf und der ganze Vossberg wurde von dem Feuer zerstört. Der Teufel hatte erfreulicher Weise keine Gelegenheit bekommen seine satanische Brut zu vermehren.
Jahrzehnte war es nun ruhig in der Gegend, kein Hexentanz mehr am Vossberg. Die Wirtschaft „Zum Bissigen“ wurde abgerissen und der Vossberg wieder aufgeforstet.
Der Aberglaube bei den Menschen von Nütterden ist tief verwurzelt und bis in die heutige Zeit geblieben.
Jan der Fischersohn war tief getroffen von dem Tod des Knechtes Köbes denn er war ihm immer ein guter Freund gewesen. Er zog sich in das alte Fischerhaus seines Vaters am Renneken zurück. Jan hatte durch den Tod von Köbes schmerzlich erfahren müssen, dass er nicht jeden mit seinen magischen Kräften schützen konnte. Überhaupt stellte Jan fest, dass seine magischen Kräfte in letzter Zeit öfter nachließen. Sollte er seine mystischen Fähigkeiten zum Schutze seiner Mitmenschen etwa verloren haben?
Wer weiß, was noch alles geschehen sollte……