Die Tochter des Grafen Eborin
- Die Angst geht um in Nütterden –
Als Graf Eborin aus dem Düffelgau, im Jahre 720 vor Christi Geburt, erstmalig in einer Schenkungsurkunde eine Ansiedlung mit Namen Nitri erwähnte, muss er gewusst haben, dass sich tief unter dem Dorf mit heutigem Namen Nütterden eine andere, mystische Welt befindet.
In einem Anhang zu dieser Urkunde soll sich ein alter, mit Menschenblut gezeichneter Plan befunden haben, den ein Mönch vom Stift Zyfflich heimlich angefertigt hatte, bevor er von heidnischen Dämonen aus den Niederrheinlanden gefoltert und getötet wurde. Dieser Plan in dem die unterirdischen Gänge und Stollen von Nütterden eingezeichnet waren, ist seit jahrhunderten verschollen.
Ungehindert konnten seit dieser Zeit Dämonen und satanische Geister ihr Unwesen im Untergrund von Nütterden treiben. Die Bewohner des Dorfes wurden fast jährlich in Angst und Schrecken versetzt, wenn die Dämonen Ihr jährliches Opfer von ihnen forderten.
Es sind die vergessenen, unterirdischen Stollen, die den Menschen im Dorf bis heute Angst bereiten. Von den drei Erhöhungen des Dorfes, Hingstberg, Wolfsberg und Vossberg verbinden die Gänge seit Jahrhunderten alte Höfe, Häuser, Kirchen, Adelssitze und die alten Opferstätten von Nütterden miteinander, bis in die Niederung wo vor langer Zeit die alte Sankt Sebastian Kapelle gestanden hatte. Unter dieser Kappelle so wurde immer vermutet, soll sich auch ein geheimer Eingang in die Unterwelt befinden. Diese unterirdischen Gänge führen durch den feuchten Wiesengrund zum alten Schloss Klarenbeck. Man kann den Eingang im Wiesenland an der Bruchschen Straße, versteckt hinter Büschen und einer Viehtränke, immer noch finden.
Im vom Nebel fast undurchsichtigen Morgengrauen, ist seit Urzeiten regelmäßig in Vollmondnächten eine mystische, unwirklich erscheinende Gestalt zu sehen.
Auch heute ist es wieder so weit. Die grauen Nebelschwaden wabern über „Die Weert“ dem von alten, knorrigen Weiden umwachsenen Mühlenweiher. An dessen Ufern befand sich das längst versunkene „Wasserschloss Klarenbeck“.
Der unruhige Geist, des alten Grafen Ebroin der hier lebte, steigt heute wieder einmal aus den Tiefen der verschütteten Katakomben seines Schlosses empor. Scheinbar von Wolken getragen schwebt er über Nütterden. Dabei ruft er immer wieder nach seiner kleinen Tochter Ambrosia, die auf dem Hingstberg in Nütterden auf mysteriöse Weise verschwand.
Um seinen Seelenfrieden zu finden, wartete der Graf geduldig auf ein Zeichen von einer höheren, mystischen Macht. Diese Macht soll ihm seine geliebte Tochter Ambrosia wiedergeben.
Das war natürlich eine Aufgabe für Jan dem Fischersohn vom Renneken, der immer dann zur Stelle war, wenn ein anderer Hilfe benötigte.
Als mystisches Fabelwesen kann Jan Kräfte mobilisieren, die normal Sterblichen nicht zur Verfügung stehen.
Als wieder einmal ein unheimliches Rauschen durch die noch kahlen Pappelbäume der Bruchschentraße ging, wurde Jan vom Grafen gerufen.
Ein lautes Stöhnen durchdrang die Niederung. Graf Ebroin irrte wieder mal unruhig durch die Lüfte über Nütterden. Jan war in seiner Nähe angekommen und sprach den Grafen an. Er ließ sich die traurige Geschichte von Ambrosia, der Tochter des Grafen erzählen. Jan sicherte dem Grafen Hilfe zu und verabschiedete sich vom Grafen, bevor dieser sich wieder bis zum nächsten Vollmond in seine verwunschene Unterwelt zurück zog.
Bei einer Bewohnerin von Nütterden war diese Nacht allerdings nicht ohne Spuren vorbei gegangen; „Van nacht tegen vier Ür heb ek en Schandol öwer het Derp gehört, wat es door blos wär loss gewesst, es denn Düwel werr loss?“
fragt Nila auf Kleverländisch, als sie am frühen Morgen in der Bäckerei auf der Dorfstraße ankam um Brot für die Familie einzukaufen.
„äne horrde Wind koom onder uit et Weiland bes hier norr boven. Ek hörde en gejammer en gestöön, dat ek wacke wurd, en niet merr schlope kos,“
fuhr sie mit gähnender Stimme fort und hielt dabei die Hand vor dem Mund. Genau zu diesem Zeitpunkt, den Nila beschreibt, war Graf Eborin aus den Nebelschwaden bei Schloss Klarenbeck empor gestiegen.
„Wat äs gebört“ fragt Vera, die ebenfalls in dem Verkaufsraum der Bäckerei stand, interessiert bei Nila nach?
„Öm desen Titt schloop ek, en dan hör ek nex“ bemerkte Vera ruhig.
„Ek heb dän Düwel van nacht gehört“ erklärte Nila ihr mit aufgeregter Stimme.
„Wat gelli schnachs alles hört“ wendet auch Moni eine weitere Kundin der Bäckerei ein, als sie durch die offene Tür in den Laden eintritt und die Unterhaltung der Dorffrauen mitbekommt;
„schnachs schlopp ek, dann hör ek nex, äwel minn Oma hätt frugger vööl van de Dämonen in Nöttere vertällt. Sej es no 95 Johr ek sall se nog ene keer frooge.“
Nun mischte sich die Verkäuferin, die nicht aus Nütterden kam in das Gespräch ein;
„Datt heb gej bestemmt gedroomt“ sagte sie mit schnippischen Unterton in der Stimme.
Nila, die das Gespräch der Frauen mit ihren ängstlichen Äußerungen begonnen hatte, erwiderte mit hochrotem Kopf;
„wat ek gehört heb, heb ek gehört. Ek sin doch nit gäck“
sie rannte ohne ihr bereits bezahltes Brot mit zu nehmen, aus den Laden. Die Bäckereiverkäuferin rief ihr noch nach, aber Nila hörte es nicht mehr.
Die jungen Frauen hatten noch nicht wirklich etwas von dem geheimnisvollen Treiben in Nütterden gesehen. Aber alte Geschichten, die von Generation zu Generation weiter erzählt wurden, werden immer wieder aufgefrischt und bereitete den Dorfbewohnern immer wieder schlaflose Nächte. Was ist Wirklichkeit und was ist Fantasie?
Nicht nur die Frauen, sondern alle Dorfbewohner von Nütterden sollten noch viel mehr von den mysteriösen Vorgängen in ihrem Dorf erfahren………