Geheimnisvolles Materborn
- Wie verschwand die hl. Hand von Anneken? -
In den Kleverlanden hatte es sich herum gesprochen, dass Jan der Fischersohn aus Nüttedern seine mystischen Fähigkeiten für die Menschen in der Region einsetzte. Nachdem er die Unterwelt von Nütterden von den satanischen Dämonen befreit hatte, meldete sich auch Wolfgang L. aus Materborn bei Jan.
„Gefft et sowat ok bej ons in Materborn“ fragte Wolfgang neugierig auf Kleverländisch,
„en hebben di alde Gäng van Nöttere een Verbindung norr Materborn? fragte er gespannt bei Jan nach,
„nor de Krich hebbe se doch de „Hand van ons Anneken“ ütt de Kapäll van Materborn geklaut. Ek was in denn Titt nog enne kleine Jong, mar minen Grootvader hätt ömmer vertällt dat die Schabelönders dörr dij onderirdische Gäng van de Kapäll bess nor Nöttere afgehaue sin. Könnt gej min hälpe off et so es, dat et dor en Verbindung gefft? Alde Materbornse hebben ömmer vertällt, dat dän Duivel dor onder in de Katakomben sett.“
„Da kann ich noch gar nichts zu sagen“ antwortete Jan ihm freundlich, „gerne helfe ich dir weiter, aber ich will erst in den alten Unterlagen und Plänen nachschauen, die ich aus den Katakomben vom Hingstberg in Nütterden retten konnte. Am besten wir treffen uns am Samstagmittag bei Schneiders auf der Dorfstrasse in Materborn, dann sehen wir weiter.“
Es war etwas regnerisch, als Jan durch die bleiverglaste Türe in das Gasthaus Schneiders eintrat. Heinz-Günter, der Wirt musterte den Ankömmling skeptisch von oben bis unten, tat dann aber so, als sähe er den Gast gar nicht und zapfte weiter an einem Glas Bier hinter seiner Theke. Jan setzte sich an den großen runden Tisch direkt am Eingang. Marion die Wirtsfrau, die dabei war Gläser zu spülen, wischte sich die Hände trocken und fragte Jan dann freundlich „was darf es sein?“ Jan bestellte ein Bier und fragte nach, ob sie einen Wolfgang L. kenne.
„den kenne ich gut“ antwortete die Wirtsfrau“, der sitzt gerade bei „Tante Änne“ in der Küche und spricht mit ihr über alte Geschichten aus Materborn.“
Kaum hatte sie das ausgesprochen kamen Wolfgang und Tante Änne auch schon aus der Küche und setzten sich bei Jan an den Tisch.
„Dat es jo prima Jan, dat gej ons wat öwer die alde Gäng vertelle wellt“ kam sie auf Jan zu, „van et fruchjor hebbe se ennen Maiboom hier bej ons op dän Hoff obgesett. Dorbej sin se bej et ingrawe van dän Boom ok op en gemätzelte Muur gestoote. Dän Maiboom es dorbej 3 Meter ingesackt. En de Menze hadden dadör van det Johr mar enen korte Maibom, worr se niet doronder Danze kose“, sprudelte es aus Tante Änne auf Kleverländisch hervor.
„En vor de Kapäll es vor kortem ok en grot Lokk in Stroot ingebroke. Dat hätt doch bestemmt ok met di alde Gäng te duun“ begrüßte auch Wolfgang den Besucher aus Nütterden.
Nachdem alle Platz genommen hatten und Marion die Wirtsfrau für alle Getränke gebracht hatte, breitete Jan seine mitgebrachten Unterlagen aus.
„Ich habe tatsächlich einen alten Plan und Unterlagen in meinem Archiv gefunden, danach gab es eine unterirdische Verbindung von Materborn nach Nütterden“, begann Jan in die staunende Runde zu berichten.
„Von der St. Anna Kapelle, zur späteren St. Anna Kirche, bis hier unter ihrem Gasthaus hindurch war eine erste Verbindung bis Burg Ranzow“ fuhr Jan fort „ Möglicherweise hat der Erbauer der Burg, Georg Friedrich Ludwig von Nassau-Siegen im 17. Jahrhundert die unterirdischen Katakomben erbaut, um auf diesem Wege zum Beten in die St. Anna Kapelle zu gelangen. Die Kapelle hatte zu diesem Zeitpunkt schon rund 200 Jahre bestanden. Später im 18. Jahrhundert als Julius Ferdinand Graf von Ranzow die Burg erwarb und ihr auch seinen Namen gab, baute dieser möglicherweise auch den geheimen Gang weiter.
Im 20. Jahrhundert soll der alte Pastor Heinrichs die Gänge noch genutzt haben um von der Kirche unerkannt hier in die Gastwirtschaft zu kommen.“
„dor heb ek ewel nex van geweete“ unterbach die streng gläubige Tante Änne barsch die Ausführungen von Jan „onsen Heerome es ömmer dör de Voordöör gekomme, mar now“ zweifelte sie plötzlich „wie gej dat so vertällt, ek was nog en Kind, mar now kömmt et min wär inne Senn, in dän alden Krüppkelder onder de Köök was en tugemäzelte Döör. Et kann gut sin, dat et dor norr die alde Gäng ging.“
Bevor Jan die alten Pläne weiter erklären konnte, vernahmen sie aus dem kleinen Saal, der nur durch eine kleine Flügeltür von der Gastwirtschaft getrennt war, den alt bekannten Klang eines Liedes. Der Männergesangverein von Materborn hielt seine wöchentliche Gesangsprobe ab. Voll Inbrunst sangen sie das von Johann Thyssen kreierte Materborner Heimatlied;
Liegt ein Dörflein still verträumt am Waldessaum,
stiller Friede liegt hier über Feld und Raum
jeder Fremde ist von seinem Reiz gebannt.
Soll ich dir sagen wie das Dörflein wird genannt:
O, Materborn, du bist die Heimat mein
der Materborner Schweiz gehör ich ganz allein;
wo meine Wiege stand, wo ich ging ein und aus,
da ist die Heimat mein, da steht mein Vaterhaus!
Wo ich als Kind so gern gespielt, getollt, gelacht,
wo ängstlich mir die Mutter jeden Schritt bewacht,
wo ich als junger Bursch´ voll Übermut geschäumt,
wo zärtlich ich den ersten Liebestraum geträumt.
Und wenn ich einst aus diesem Leben scheiden muss,
dir stilles Heimatdörflein gilt mein letzter Gruss;
drückt mir der Tod dereinst die müden Augen zu,
find´ ich, so Gott es will, bei dir die ew´ge Ruh´!
Das Gasthaus hatte sich inzwischen gefüllt und alle Heimatverbundene Gäste sangen dieses Lied mit. Als es wieder etwas ruhiger geworden war und alle einen guten Schluck aus ihren Gläsern genommen hatten, schauten Wolfgang und Tante Änne erwartungsvoll auf Jan, bevor dieser mit seinen Erkenntnissen fortfuhr.
„Der Graf von Ranzow soll die unterirdischen Gänge als Fluchtwege, die bei eventuellen Kriegen genutzt werden konnten, gebaut haben. Der nächste Abschnitt ging zunächst bis „Haus Bresserberg“. Als der Schuhfabrikant Gustav Hoffmann das Anwesen Anfang des 20. Jahrhundert kaufte, sollen die Bauarbeiter beim Umbau auf den alten Gang gestoßen sein. Später kauften die Eheleute Schmitz das Haus und bauten es zu einem zu einem über die Grenzen von Materborn hinaus bekannten Tanzlokal um. Der so genannte niedere und höhere Klever Adel verkehrte in dem Haus. Es ging schon damals das Gerücht um, das ganz mutige Tänzer in den Katakomben von Bresserberg nicht nur getanzt hätten.“
„Bei Puppa Schmitzt war ich auch schon mal tanzen“ unterbrach ihn nun Wolfgang und verdrehte dabei vielsagend die Augen, bevor Jan fort fuhr.
„Von hier aus, so steht es in dem alten Plan, gelangt man zu einem größeren Stollen auf dem Galgenberg. Als Ende des 19. Jahrhunderts hier ein Aussichtsturm errichtet wurde, soll man hier auf ein großes Gewölbe gefunden haben, worauf der frühere Scharfrichter von Cleve vom 16. bis 18. Jahrhundert die Todesurteile vollstreckte.
Über Haus Ida, dem Tiergartenwald und der Schlucht bei Donsbrüggen soll dann ein langer Gang bis zum alten Forsthaus an den Sieben Quellen gebaut worden sein. Aus meinen Unterlagen ist nicht ganz ersichtlich wer diesen Abschnitt gebaut hat“ endete Jan mit seinem Vortrag.
„Dat es jo en Deng“ staunte Tante Änne nicht schlecht „ wat gej dor alles herütt gevonde hebt“ und schlug Jan anerkennend auf die Schulter und verschwand wieder in ihre Küche.
„En wat es met die Dieve, die norr de Krich de hl. Hand van ons Anneke gestoole hebbe? Sinn die dörr die alde Gäng geflöcht?“ fragte Wolfgang noch mal an Jan gerichtet.
„Möglich ist es“ erwiderte Jan „ich kann aus den mir bekannten Unterlagen nicht erkennen ob die unterirdische Verbindung nach dem 2. Weltkrieg noch bestand oder heute noch bestehen. Das müssten weitere, neuere Untersuchungen ergeben.“
„Dan segg ek o van Horte bedankt Jan, gej hebt min vööl vertällt, wat ek sönst noit erfoore hatt van min Heimat. Lott ons nog en biertje drenke, fless geeft et nog meer materbornse dij wat meer weete“ Wolfgang bestellte noch mehrere Biere bevor sich die beiden, das Materborner Lied singend, auf den Heimweg machten……
O, Materborn, du bist die Heimat mein…..