Danz op de Schanz

- oder "Fährman hol über" -

Es ist das große Ereignis eines jeden Jahres. Im Juli findet der traditionelle Jahrmarkt auf der Insel Schenkenschanz statt. Alle gedenken den furchtbaren Kriegsereignissen der Vergangenheit und sind mit den Vorbereitungen beschäftigt ein großes Dorffest zu feiern. Die kleinen Gassen im Dorf werden geputzt und geschmückt. Jede Familie ist auf den Beinen und holt Brot, Würste, Schinken und Fässer mit Bier aus den Vorratsräumen hervor, um mit den zu  erwartenden Gästen aus den umliegenden Dörfern zu tanzen und zu feiern.

Das Leben auf der Insel Schenkenschanz war schon immer ein entbehrungsreiches Leben gewesen. Nur eine Straße führte vom Nachbarort Düffelward bis zum Rhein. Von hier aus mussten alle Güter und das Vieh mit einer Fähre auf und von der Schanz transportiert werden. Der komplette Ort an der Gabelung von Waal und dem Nederrijn, wird vom Rheinwasser umspült.

Wie schon so oft, hörte man auch in diesem Jahr vor dem Jahrmarktfest immer öfter laute Rufe „Fährmann hol über“. Ohne diese Fähre wären die Menschen auf Schenkenschanz nicht überlebensfähig. Insbesondere bei Hochwasser konnten keine anderen Schiffe an der Schanz anlegen.

Viele Menschen aus umliegenden Dörfern wollen heute zum Jahrmarkt mit der Fähre übersetzen um mit den Schänzern zu feiern. Die musizierenden Zigeuner, die mit ihren tanzenden Bären, seit eh und je auf dem Jahrmarkt auftraten, kamen von ihrem Quartier in Griethausen um zu musizieren und ihre Kurzwaren anzubieten.

Auch Jan der Fischersohn aus Nütterden mit seinen mystischen Fähigkeiten war von dem Dorf Ältesten eingeladen worden. Jedoch nicht ohne Hintergedanken. Seit einiger Zeit trieb der „Der Dämon Geryon“ wieder sein Unwesen in der Düffelt. Immer zum Jahrmarktsfest forderte er sein Opfer auf der Schanz. Der letztgeborene Knabe aus dem Ort sollte dem Dämon auf dem Blutstein vor den Kirchenstufen von St. Martin geopfert werden. Dieser Blutstein war ein alter Opferstein, der aus den Tiefen der alten, ursprünglichen Festung von Schenkenschanz reichen soll. Unter den Dorfbewohnern hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass dieser Opferstein einen alten Zugang abdeckt, der bis in die Katakomben der Hölle führt. Keiner traute sich diesen Stein zu bewegen. Im Gegenteil, immer wieder fanden sich, übers Jahr verteilt, kleine Opfergaben auf dem Stein.

Jan wurde herzlich von Bauer Föns dem Dorf Ältesten begrüßt, dieser lud Jan in einem Hinterzimmer des Spritzenhauses ein, um ihn von seinen Sorgen zu erzählen.

Bauer Föns wusste, dass Jan der Fischersohn aus Nütterden der einzige war, der mit den Dämonen in der Düffelt fertig werden konnte. Während in den schmalen Gassen von Schenkenschanz großer, ausgelassener Trubel herrschte, kreiste der „Geryon“ schon, für die Feiernden nicht sichtbar, um den Kirchturm.

Bauer Föns weihte Jan ein, dass in diesem Jahr kein Knabe geboren war. Wie würde der Dämon Geryon reagieren, wenn sie ihm kein Opfer präsentieren würden? Würde er die Bewohner der Schanz bestrafen? Was würde geschehen wenn der Blutstein vor dem Portal der Kirche leer blieb? In der Vergangenheit hatten schreckliche Hochwasser die Insel und die Region heimgesucht, wo Menschen und Vieh zu Tode kamen wenn der Dämon seinen Tribut nicht bekam. Die nahe gelegene Biesenburg, Huis Haelt und die Kirche von Brienen waren den Fluten schon zum Opfer gefallen und untergegangen.

Obwohl die Menschen hier in der Düffelt alle Christen waren, ist der Aberglauben tief in ihnen verwurzelt. Sie hatten ihn  nie abgelegt, darum fürchtete auch Bauer Föns wieder so eine schreckliche Katastrophe.

Jan spürte durch seine mystischen Fähigkeiten, dass der Dämon Geryon nicht weit war, als er dem Bauer aufmerksam zuhörte. Ungute Schwingungen bewegten die Lüfte über der Schanz. Stand etwa eine neue Katastrophe kurz bevor? Jan überlegte kurz, dann drängte er den Bauer Föns aus dem Spritzenhaus.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren Föns, wir müssen sofort zur Kirche. Es gibt vielleicht eine Möglichkeit das Unheil abzuwenden.“ Die Beiden bahnten sich einen Weg durch die feiernden Menschen, ohne Panik zu verbreiten.

„Wir müssen sofort die Glocke von St. Martin läuten, du hast mir doch erzählt Föns, dass die Glocke aus der untergegangenen Kirche von Brienen stammt. Die Niederlage, das diese Glocke gerettet wurde, kann der Dämon nicht ertragen. Mit dem Klang dieser Glocke werden wir Geryon vertreiben.“

Dies ließ sich der Bauer nicht zweimal sagen und zog an das Glockenseil mit voller Inbrunst. Er wusste es ging um sein Leben und das der Dorfbewohner.

Der Glockenklang über Schenkenschanz verursachte ein kräftiges, unheimliches Rauschen über die ganze Niederung. Mit einem großen schwefelhaltigen Feuerschweif stürzte der Dämon Geryon vom Himmel in die Tiefe neben der Kirche St. Martin. Der große, schwere Blutstein wurde von unsichtbarer Hand zur Seite geschoben und Geryon verschwand in den Tiefen der Katakomben. Mit lautem Krachen stürzte der Opferstein wieder auf den Dämoneneingang und verschoss ihn für immer.

Als Jan und Föns aus der Kirche heraus kam, war von dem ganzen Geschehen nichts mehr übrig. Nur ein leichter Schwefelgeruch war noch wahrzunehmen. Schenkenschanz war gerettet. Nie mehr musste ein Knabe geopfert werden. Der Klang der Glocke, die aus untergegangenen Briener Kirche stammte, sollte die Bewohner von nun an vor satanischen Dämonen schützen.

Jan und Bauer Föns mischten sich unter die fröhlichen Menschen, die nichts von dem dramatischen Vorgang mitbekommen hatten. Nun konnten auch sie „Danzen op de Schanz“ und feierten mit Ihnen.

Bis spät in der Nacht konnte man den Ruf hören „…..Fährmann hol über“.