Der Werwolf von Griethuise!

Auf der Maibank, dem kleinen Dorfplatz mitten in dem Dörfchen Griethuise in der Düffelt, herrschte reger Betrieb. Die Kermes steht bevor. Das ganze Dorf ist auf den Beinen um die Vorbereitungen dafür zu treffen.

Die „Wölfges“ wie sich die Einheimischen hier stolz nennen, sind eine verschworene Gemeinschaft. Schon seit Urzeiten hatten sie sich mit den Wölfen, die hier in der Gegend bei Salmorth heimisch waren, arrangiert. In jedem Jahr mit Kermes wurde ihnen drei Schafe geopfert. In schlechten Notzeiten von Hochwasser, und Kriegen war es nicht immer einfach auf die Schafe zu verzichten aber die Einwohner von Griethuise und ihr Vieh blieben dadurch weitgehend von Wolfsanfällen verschont.

In diesem Jahr sollte sich allerdings so einiges ändern.

Immer, wenn in Griethuise und den umliegenden Dörfern die jährlichen Jahrmärkte stattfanden waren auch die Zigeuner zur Stelle. In Ihren Reihen waren Gaukler, Musikanten und Kurzwarenhändler, die reichlich Abwechslung in das Leben der Menschen hier in der Region brachten.

Schon seit ewigen Zeiten kam die Sippe einer großen Zigeunerfamilie für einige Wochen auch nach Griethuise. Sie bauten ihr Lager immer direkt hinter dem Gasthaus Rheintor, vor der alten Stadtmauer von Griethausen auf.

Hier, unmittelbar an dem alten Rheinarm, im Schutze der alten Brücke nach Spyck, treffen die einzelnen Sippenmitglieder nach und nach mit Ihren klapprigen, meist einspännigen, hölzernen Wagen ein.

Die Zigeuner haben keinen guten Ruf im Lande, immer wieder wurde ihnen in der Vergangenheit Diebstahl und schwarze Magie unterstellt. Sie galten hier überall als fremdartige Normaden mit dunkler Haut und unbekannter Sprache. Nur hier in Griethuise waren sie willkommen. Die große, exotisch gekleidete Familiensippe, mit Ihrem Anführer „Schabo“ war den einheimischen schon lange bekannt.

Schabo genoss eine hohe Anerkennung in Griethausen. Er machte von hier aus seine Geschäfte. Er nannte sie „An- und Verkauf“, keiner wollte so genau wissen wie diese Art von Geschäfte abliefen. Im Gegenzug sorgte Schabo dafür, dass seine Leute die Bewohner von Griethüise nicht belästigten.

In diesem Jahr war auch eine alte Wahrsagerin unter den Schaustellern. Sie war eine erfahrene Schamanin und mit den mystischen Kräften zwischen den Welten vertraut. Als sie im Dorf ankam war sie sehr aufgeregt und lief sofort zu Schabo, ihrem Stammesoberhaupt. Sie wurde regelrecht hysterisch als sie ihm unter kreischenden Geschrei berichtete, dass großes Unheil geschehen werde und er sofort nach Jan dem Fischersohn aus Nütterden  schicken solle. Nur dieser könne mit seiner enormen magischen und mystischen Kraft den Menschen hier helfen, um größeres Unheil zu verhindern.

Schabo redete auf die Schamanin ein um sie zu beruhigen. Er wollte nicht das sich Panik in dem Ort breit macht.

Da aber auch er beunruhigt war, lief er schnell zu „Mutt Verwaajen“. Sie betrieb mit ihrer Familie das Gasthaus „Zur Linde“ direkt an der Maibank. Schabo wusste, dass sich hier die jungen Männer von Griethuise trafen um die Kermes zu besprechen. Genau so traf er dann auch am Stammtisch „Futti“ den Sohn der Wirtin an. Um ihn herum hatten sich Schlumf, Bübbi, Gerd und Eddy versammelt und waren lauthals am Diskutieren.

„Mutt“ wie sie die Wirtin hier alle liebevoll nannten, stand hinter dem Ausschank um die nächsten Biere aus dem alten Holzfass zapfte, schrie sie mit aller Kraft auf Kleverländisch, die Dialektsprache die hier überall in der Düffelt gesprochen wurde:

„now äwel wat röstiger Jonges, et sin noch andere Menzen hier“

Als Schabo erkannt wurde und auf den Stammtisch mit den jungen Männern zulief, war das Hallo groß. Er bestellte er erstmal eine Rund Bier für alle.

Mutt stand an der Theke und lächelte, sie wusste, Schabo war immer sehr spendabel und somit waren auch ihre Einnahmen gesichert.

Bübbi der junge Blondschopf in der Runde stürmte auf Schabo zu und rief aufgeregt auf Kleverländisch;

„Hey all gehört Schabo op dän Dyck hebben se twentich doje Schööp gefonde. Watt es bloos gebört. Wey hebben doch Kermes än wej motten doch van de Diere läwe.“

Schabo wollte beruhigend auf die Männer einwirken, die nun alle lauthals durcheinander Sprachen, als die Wirtshaustüre aufgerissen wurde und They der Schmied lauthals herein stürmte und schrie;

„et brennt, et brennt …..de Hött van Hedwich op Spyck steet in Flamme.“

Alle Anwesende waren auf einmal ganz still.

„watt et brennt“,

rief Eddy verwundert in die Runde.

„eerst die doje Schööp, än now brennt et bej Hedwich, watt es dan loss in Griethuise“

schrie Futti.

„watt äs dan met Hedwich en die jonge Fraului, die bej ör ondert Dak wohne“,

fragte Schlumf besorgt.

Obwohl Schabo die Männer beruhigen wollte, stürmten sie aus dem Gasthaus und rannten planlos Richtung Spyck. Allen voran Bübbi, den die Nachricht wohl am meisten erschreckt hat.

„Datt moss jo ennekeer geböre, met all die jonge Wiewer ondert dak“

sprach Mutt nun Schabo an.

„ek heb all ömmer gesecht dat kan nit gut goon“

fuhr sie klagend fort. Ein bisschen Brotneid schwang dabei mit in ihrer Stimme.

Hedwich hatte in ihrem Restaurant Rheinlust auf Spyck einige gefallene junge Mädchen beschäftigt, die sie persönlich von der Straße in Cleve holte. Den Männern von Griethuise und Umgebung gefiel die Anwesenheit der leichten Mädchen natürlich und waren häufig Gast in der Rheinlust. Obwohl Hedwich mit einem leichten Augenzwinkern immer betonte hier in ihrem Haus geschehe nichts Unrechtes, war sie doch eine große Konkurrenz für die anderen Gasthäuser. Zumal viele Männer inzwischen auch von Außerhalb nach Spyck kamen um hier zu feiern.

„Ich glaube das hat leider andere Gründe“

sprach Schabo zur Wirtin in gebrochenen Hochdeutsch, er konnte Kleverländisch zwar verstehen, aber nicht sprechen.

„rufe bitte alle Menschen hier bei dir zusammen, die du erreichen kannst und bleibt hier im Haus. Ich glaube es wird noch mehr passieren. Ich werde Hilfe holen“

fuhr Schabo mit betont ruhiger Stimme fort.

Er eilte zu seiner Schamanin, die zusammengekauert in ihrem alten Bollerwagen saß.

„Du musst dich sofort mit Jan dem Fischersohn aus Nütterden in Verbindung setzen, er muss so schnell hier nach Griethuise kommen, um mit seinen mystischen Fähigkeiten schlimmeres zu verhindern“

Die Alte tat sofort was ihr befohlen wurde und war schon im Geiste zwischen den magischen Welten.

Da Jan immer bereit war Hilfe zu leisten, überall da wo sie dringend benötigt wurde, vernahm er die mystischen Schwingungen von der Schamanin und eilte nach Griethuise.

Dunkle Rauchwolken und ein penetranter Verwesungsgeruch lag über Griethuise als Jan am Stadttor bei der alten Mühle von Schabo empfangen wurde. Sie liefen sofort zur alten Schamanin, damit sie Jan berichten konnte, was sie so schreckliches in ihrer Glaskugel gesehen hatte.

Jan ist sehr beunruhigt. Es war der alte Werwolf Grimm und der Aasgeier Gieremund, sein ständiger Begleiter, die wieder in der Düffelt unterwegs waren. Immer wieder kamen sie aus dem satanischen Untergrund hervor und verbreiteten Angst und Schrecken in der Düffelt.

Lange war es ruhig um die teuflischen Ungeheuer gewesen.

Lange waren die Einwohner der Düffelt von ihnen verschont geblieben.

Und nun sollten sie wieder unterwegs sein um ihr blutiges Unwesen zu treiben?

Die Schamanin berichtete Jan, dass sie klar von den Bestien vernommen hatte, dass sie als Blutzoll einen neugeborenen Knaben forderten, der noch dazu in Sünde gezeugt wurde. Dieser erstgeborene Knabe soll morgen bei Blutmond auf dem Deich bei Spyck geopfert werden. Ansonsten würde ein höllisches Inferno über Griethuise und die Region hereinbrechen.

Als Vorgeschmack hatte die Teufelsbrut die Schafe auf dem Deich abgeschlachtet und das Gasthaus Rheinlust in Brand gesteckt.

Von dem letzten großen Brand innerhalb der Stadtmauern von Griethuise, hatten sich die Menschen gerade etwas erholt, aber überall war die Not noch zu spüren.

Die Kermes sollte fröhliche Abwechslung bringen aber nun kam die Angst vor Tod und Verderben wieder hoch.

Zunächst spannte er mit seinen mythischen Fähigkeiten einen magischen Schutzschild über Griethuise. So konnten die satanische Teufelsbrut vorerst keinen Schaden mehr in Griethuise anrichten. Leider kann er diesen Schutzschild nur 24 Stunden aufrecht halten, länger reichte seine magische Kraft nicht. Jan musste sich also beeilen, um die Dämonen wieder in ihr unterirdisches Reich zu verdammen.

Noch wusste Jan aber nicht, was hier wirklich geschah.

Wo und wann würde ein Knabe geboren?

Wer war die Gebärende?

Was sagen die Menschen hier dazu?

Viele Fragen gingen Jan durch den Sinn als er nach Spyck eilte um zu sehen, was dort geschehen war.

Mit Eimer und einer Handpumpe versuchten die herbei geeilten Männer von Griethuise den Brand mit Rheinwasser zu löschen, um noch einiges vom Gasthaus Rheinlust zu retten. Aber es war vergebens das Gebäude, wo schon so viele Wölfges fröhlich gefeiert hatten brannte völlig aus.

In einem tiefergelegenen Schafstall, etwas abseits vom Gasthaus, hatten sich Hedwich und drei ihrer Mädchen in Sicherheit gebracht. Sie hatten rußgeschwärzte Gesichter und waren nur spärlich bekleidet. Sie alle waren vom Ausbruch des Feuers überrascht worden.

Futti und seine Jungs waren dabei Stroh auf dem Boden auszubreiten und mit ein paar Holzbalken Sitzgelegenheiten zu schaffen. So konnten die Frauen sich wenigstens etwas Schutz verschaffen.

Hedwich hatte nur noch zwei Holzfässer mit Bier und ein paar Krüge retten können, alles andere wurde ein Raub der Flammen.

In einer dunklen Ecke des Stalles konnte Jan den blonden Schopf von Bübbi erkennen und neben ihm kauerte ein verängstigtes Mädchen. Es war Elke, eines der Mädchen die in der Rheinlust gearbeitet hatte. Gerade wegen ihr war Bübbi schon oft hier nach Hedwich auf Spyck gekommen. Er hatte sich wohl in Elke verliebt, das durfte aber niemand wissen, da Bübbi noch verheiratet war.

Und was Jan noch sah, erschrak ihn sehr, Elke war hoch schwanger. Sollte sie das „Kind des Blut-Mondes“ heute Nacht hier gebären?

Als Jan auf sie zukam, sah er in dunkle und verweinte, rote Augen.

„Könnt gej uns hälpe“

sprach Hedwich ihn sofort fragend an. Beim Versuch ihr Hab und Gut zu retten hatte sie sich ihre Hände verbrannt. Die Hände waren nur notdürftig mit Stofffetzen verbunden, die sie von ihrem langen Rock in langen Streifen abgerissen hatte. Die sonst so stolze und adrette Rheinlustwirtin sah mit ihren zerzausten Haaren und angekokelte Kleidung erbärmlich aus.

„Ich werde es versuchen“

antwortete Jan und nahm sie beiseite, um sie von seinem Wissen, das er von der Schamanin erfahren hatte, in Kenntnis zu setzen.

Hedwich schaute Jan ungläubig an;

„sönne Quatz“

rief sie aufgeregt,

„sowatt gefft et nit, Dämonen änn Satansbrut gefft et bloß in de Kerk, ma dor glöv ek nit dronn. Ek glöv bloß an min eiges, än dat hier bau ek met minne Mann alles wär op.

Solang könne die Grietuisse dor onder in dän Schoopsstall ör Bier drenke, än die Fraului bliewen ok hier“

fuhr sie aufgebracht in Richtung Jan fort und lief in den Schafstall zu Elke und Bübbi, die die Unterhaltung zwischen Hedwich und Jan mitbekommen hatten.

„ ek well hier nit wäch, än min Kind kricht  ok gen Mens“

wimmerte Elke, die in den Armen von Bübbi Schutz suchte.

„ek pass op oh op“

sagte Bübbi und klammerte seine Arme noch fester, schützend um das zitternde Mädchen.

„Ihr bleibt alle hier im Stall,“

rief Jan mit fester Stimme, während es mittlerweile draußen heftig blitzte und donnerte.

„sonnst kommt ihr alle um und ich kann euch nicht mehr helfen. Rückt alle zusammen mit Elke in eurer Mitte. Ich werde euch schützen insbesondere das ungeborene Kind von Elke.“

Jan der Fischersohn aus Nütterden trat aus dem Stall, als gerade das Inferno begann.

Mit letzter Kraft konnte er einen magischen Schutzschild über den Schafstall spannen.

Der Himmel hatte sich Blutrot verfärbt, pechschwarze Wolken stürmten abwechselnd mit grellen Blitzen über Spyck hinweg. Der Rhein hinter dem Deich kochte und große Gischt Wellen schlugen über die Deichkrone auf die verkohlte Ruine der Rheinlust hinweg.

Der alte Werwolf Grimm und der Aasgeier Gieremund hatten es wieder mal geschafft aus den Tiefen der satanischen Hölle empor zu steigen. Sie tobten über Land und Fluss um die Menschen hier zu tyrannisieren. Sie hatten immer nur dann eine Chance, wenn die Menschen hier in der Düffelt sündigten und forderten dann ihren Blutzoll.

Elke mit ihrem in Sünde gezeugten Kind sollte nun ihr Opfer sein.

Jan hatte große Mühe sich auf den Beinen zu halten. So gewaltig tobten die Stürme. Mit seiner magischen Silberkette, die er von seinem Freund und Edelmann, Ritter Lohengrin verliehen bekommen hatte, kettete er sich an einem stabilen Pfahl an und trotzte so den Angriffen der der höllischen Gewalt die auf ihn einwirkte.

Beißender Schwefelgeruch setzte sich schwer über den ganzen Ort des Geschehens.

Jan der Fischersohn aus Nütterden rief mit letzter Kraft um magische Hilfe zwischen den Welten, um die Menschen hier zu schützen. Dann entschwanden ihm seine Sinne und er sank völlig entkräftet zu Boden.

Durch das Fenster des Gauklerwagens von Schabo dem Zigeuneroberhaupt, viel ein Sonnenstrahl auf das Gesicht von Jan. Von draußen drangen Musik und Stimmengewirr in den hölzernen Wagen. Die Wölfkes feierten ihre Kermes und unter blauem Himmel spielten die Musikanten zum Tanz auf.

Träumte Jan nur oder war es Wirklichkeit?

Als Schabo auf ihn zutrat ihm berichtete, das Jan die satanischen Ungetüme erfolgreich vertrieben hatte, atmete er erleichtert durch. Sogleich ging er aus dem Wagen.

Hier erwarteten ihn Futti, Edgar, Gerd und Schlumpf um mit Jan zusammen Kermes zu feiern. Etwas abseits saß Bübbi mit Elke auf einer Bank. Beide winkten Jan zu. Als er auf sie zulief sah er, dass Elke ihr neugeborenes Kind schützend in den Armen hielt.

„Wir haben ihm den Namen Jan gegeben“

sagte Bübbi stolz.

„Wir bedanken uns bei dir das du uns so tapfer geholfen hast.“

„Auch ich will dir danke sagen“

rief eine freundliche, weibliche Stimme aus dem Hintergrund

„solange mein Gasthaus Rheinlust nicht wieder aufgebaut ist, schenke ich das Bier in meinem Schafstall aus, du bist herzlich eingeladen,“

und mit einem lächenden Augenwinkern fügte sie hinzu;

„meine Mädchen sind auch da.“

Jan war müde geworden so blieb er nicht lange.

Die Aktion in Griethuise hatte alle Kraft von ihm gefordert. Er kehrte aber zufrieden in sein Fischerhaus nach Nütterden zurück und wartet weiter auf die Dinge die noch kommen sollten………