Die Ratsglocke von Kleve
oder „Es ist doch Wahlkampf…..….
An einem regnerischen Tag Anfang September herrschte Unruhe im Ersatz-Ratssaal des provisorischen Klever Rathauses. Alle im Rat vertretenen Parteien waren fast vollständig, zum Teil aus ihrem Urlaub, zu dieser außerordentlich anberaumten Sitzung erschienen.
An diesem Tag allerdings begann die Sitzung nicht wie gewohnt. Denn eines der großen Mysterien im Klever Rathaus ist diesmal nicht die Kommunalpolitik, sondern die verschwundene Ratsglocke von Kleve, die ein Juwelier schon in den 50er Jahren für den Klever Bürgermeister prunkvoll angefertigt hatte. Dass die Glocke verschwunden ist, ahnten die Ratsvertreter noch nicht.
Der Bürgermeister stand vor den Ratsmitgliedern, Schweißperlen rannen von seiner Stirn und tropften auf seinem hellen, taubenblauen Anzug als er mit betont lockerer Stimme in die Runde rief; „so nun habt ihr euren Spaß gehabt und nun rückt sie wieder heraus.“
Während er dies sagt, blickte er vorwurfsvoll in Richtung Opposition.
Unverständliche Blicke, aus allen fünf Fraktionen, schauten den Bürgermeister an. Noch bevor dieser weiterreden konnte, sprang der Führer der größten Oppositionspartei auf und rief erregt dem Bürgermeister entgegen;
„was haben sie sich jetzt schon wieder ausgedacht, was ist passiert, dass sie uns alle aus den Urlaub holen? Es sind zwar nur noch wenige Tage wo sie Bürgermeister von Kleve sind, aber langsam haben wir ihre Alleingänge satt. Nur weil sie der größten Faktion angehören, können sie nicht machen was sie wollen.“
Kaum hatte er das ausgesprochen, sprangen die Oppositionsmitglieder wie auf Kommando auf und lamentierten in Richtung Bürgermeister und größte Fraktion. Ohne wirklich zu wissen worum es eigentlich ging.
Leider war es Usus geworden, immer wenn von einer der größeren Fraktionen etwas gesagt oder gar vorgeschlagen wurde, lamentierte die andere größere Fraktion los. Auch die drei kleineren Parteien, die sich auch oft benachteiligt fühlten, mischten bei diesem Ritual fleißig mit. Wobei eine der kleineren Parteien seit einigen Jahren mit der größten Partei zusammen arbeitete um eine sichere politische Mehrheit in Kleve zu bilden.
„Nun beruhigen sie sich mal und lassen mich erklären was passiert ist“
versuchte der Bürgermeister sich Gehör zu verschaffen und klopfte mit einer Flasche Mineralwasser, die vor ihm stand, so hart auf den Tisch, dass der Inhalt durch den Ratssaal spritzte und ihn wie einen begossenen Pudel aussehen ließ. Spöttisches Gelächter ertönte im Ratssaal. Nun schauten auch die beiden ihn tragenden Fraktionen ungläubig in Richtung Bürgermeister. Sie waren ja auch schon von so manchen ungewöhnlichen Aktionen von ihm überrascht worden, aber was er jetzt in dieser Sitzung vorhatte, wussten auch sie nicht, als dieser fast verzweifelt fragt;
„wer hat denn nun…… die Ratsglocke gestohlen…… sie ist verschwunden.“
Die Worte des Bürgermeisters überschlugen sich fast bei diesem Satz. Er fühlte sich in diesem Moment unverstanden und wehrlos ohne diese Ratsglocke. Hastig versuchte er seinen triefnassen Anzug mit einem Paket Papiertaschentücher zu trocknen.
Erst jetzt bemerkten die Ratsmitglieder, als sie sich wieder etwas beruhigt hatten, dass die Ratsglocke, die bei solchen lautstarken Ritualen immer durch den Ratssaal schallte, nicht erklang.
„Sie wollen doch nicht etwa behaupten das einer von uns die Glocke ge…….“
schnellte der Oppositionsführer wieder hoch, bevor der Kollege von einer kleineren Fraktion ihn unterbrach, um die Situation zu beruhigen;
„nun mal langsam mit den jungen Pferden,“
rief dieser erfahrene Politiker beschwichtigend, auch in Richtung Bürgermeister,
„ich beantrage eine Vertagung der Sitzung, um erstmal den genauen Sachverhalt zu ermitteln“
fuhr er fort.
„So eine unverschämte Anschuldigung lassen wir uns nicht bieten, das wird noch ein Nachspiel haben, so können sie nicht mit uns umgehen“
meldete sich nun auch der zweite stellvertretende Bürgermeister von der Opposition beleidigt zu Wort. Er forderte seine Fraktionskollegen auf, wie zuvor auch schon mal bei strittigen Themen, die Sitzung unter Protest zu verlassen. Was diese auch sofort tumultartig taten.
„Hiermit unterbreche ich die heutige Sitzung, ein neuer Termin wird ihnen noch mitgeteilt.“
Hörten sie noch beim hinausgehen den Bürgermeister rufen als die Türe des Ratssaales krachend zuschlug.
Zwei Verwaltungsangestellte, standen auf dem Flur des Rathauses und hatten die lautstarke Auseinandersetzung mit bekommen.
„Was war das denn für ein Theater?“ fragt der jüngere von beiden neugierig.
„Ach halb so schlimm, die vertragen sich schon wieder, die Opposition fühlt sich immer benachteiligt. Unser Noch-Bürgermeister wird das schon ordentlich regeln, er ist eben manchmal ein kleiner, genervter Hitzkopf.“ antwortete der Ältere ruhig und fuhr lächelnd fort; „ES IST DOCH WAHLKAMPF“
Die Ratsglocke blieb jedoch für immer verschwunden.